Ältere Semester oder Freunde retrospektiv angehauchter Hobbys werden es noch kennen: das Topspiel im „Europapokal der Landesmeister“, wie die Champions League zu Regierungszeiten Helmut Kohls noch hieß, wurde nicht im frei empfangbaren Fernsehen übertragen, doch wahre Fußballfans nutzten die medial diktierte Auszeit nicht etwa für einen Abendspaziergang mit Freunden oder Familie („Abendspaziergang“ ist in diesem Zusammenhang nicht mit der aktuell populären montäglichen Versammlung Dresdner Vollpfosten zu verwechseln), sondern setzten sich vor den „Videotext“. Dort starrten sie sich stundenlang die Augen wund, immer verbunden mit der Hoffnung, in Kürze möge die Seite „zucken“ und den Führungstreffer des von der Bildfläche verbannten Bundesligisten verkünden.

Von Daniel Vollbrecht (Bovender SV)

Natürlich war „früher“ dennoch „alles besser“, der Fußball ehrlicher und die Damen-Nationalmannschaft hat sich über ihre Kaffeeservice-Prämie anlässlich der ersten gewonnenen Europameisterschaft noch standesgemäß gefreut… Das übliche Bla-Bla eben. Dennoch soll es tatsächlich Menschen geben, die ein Fußballspiel lieber in geselliger Atmosphäre unter Gleichgesinnten verfolgen, als ihr Dasein vor einem emotionslos flimmernden Videotext zu verbringen.
Für diese Zielgruppe, zu der sich die 1. Herren des Bovender SV zählt, hatte das „Stadion an der Speckstraße“ anlässlich des Champions League-Spiels zwischen Dortmund und Real Madrid netterweise zehn Sitzplätze vor einem großen Fernseher reserviert und allerlei erfrischende Getränke herbeigeschafft. Die Absprachen mit Chef Chris via Facebook funktionierten reibungslos, so dass die fehlende telefonische Erreichbarkeit zu verschmerzen war. Bereits kurz nach Eintreffen gaben wir unsere Tipps ab, die in eine Art „Lostrommel“ (war zwar keine Trommel und hatte mit „Losen“ im eigentlichen Sinne nichts zu tun, wies ansonsten aber frappierende Ähnlichkeit auf) eingeworfen werden konnten und uns zu Anwärtern auf ausgelobte Preise machten. Wie hoch der BVB gewinnen werde? Für unseren schwedischen Party-Abstinenzler und Schalke-Fan Timo Hichert notierten wir ein optimistisches „7:3“, Erki Coskun war mit einem 3:1 dabei, während Robert Hahne sauertöpfisch auf einen peinlich knappen 3:2-Sieg der Schwarz-Gelben wettete.
Für Aufsehen in negativer Hinsicht sorgten unsere Getränkebestellungen, die für den Geschmack des Gastwirts zu häufig aus ekelhaften Worten wie „Fanta“, „Limonade“ oder „Ich hätte gerne ein alkoholfreies, veganes Wasser“ bestanden. Doch die mit Stolz konsumierten Sportlergetränke schienen uns nachhaltig die Sinne zu vernebeln. Rafael Huisgen, allseits respektierter Dortmund-Fan, fragte kurz vor Anpfiff allen Ernstes, ob der BVB denn „zuhause“ spiele, während Gerbi Kaplan öffentlich seine Sympathien für den SC Freiburg proklamierte. Weitaus fachlicher analysierte Julian Theilen die Mobilität von Toni Kroos: „Der hat einen auffälligen Laufgang.“ Nima Eslami ergänzte: „Bei FIFA müsste Kroos Minus-Schnelligkeit haben.“ Die heimelige Atmosphäre ließ uns dank passender Akkustik – die Lautsprecher waren nicht zu extrem aufgedreht – genug Freiräume, neben intellektuellen Konversationen über das „neue FIFA“, welches Nima doch bitte „morgen um 08.00 Uhr bei real“ kaufen solle, auch die aktuelle Tabellensituation des BSV zu besprechen. Bei der dritten Mineralwasserbestellung wurde Gastwirt Chris stutzig: „Und ihr wollt Fußballer sein?“ – Die folgerichtige Replik: „Deshalb stehen wir auch fast auf einem Abstiegsplatz.“
Unser „abgespecktes Team in der Speckstraße“ (Zitat Rob Hahne) hatte trotz mineralwassergetränktem Mitleid der übrigen Gäste viel Spaß, vor allem, als der harsch kritisierte Schürrle zwei Minuten nach Ankündigung durch einen bescheidenen Fachmann, der sich nicht selbst loben möchte und deshalb seinen Namen an dieser Stelle nicht aufschreibt, tatsächlich zum 2:2-Ausgleich netzte („Ich sag es Dir, Schürrle macht gleich das Tor.“ – „NIEMALS!“).
Wer viele Tipps abgibt, hat irgendwann eben auch mal Recht. Dummerweise waren wir nur mit deren dreien in der vermeintlichen Lostrommel und zählten nicht zu den glücklichen Gewinnern einer der lässigen Kinosessel, auf denen wir einen bequemen Fußballabend verbringen durften.

Das „Stadion an der Speckstraße“ ist definitiv einen weiteren Besuch wert.

Bewertung: 7 von 7 Punkten (die wir aktuell auf dem Konto haben)

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