Im Sommer 2018 habe ich eine Damen Fußballmannschaft in der Landesliga übernommen. Meine Hauptmotivation war, dass ich die ursprünglichen Werte des gemeinsamen Fußballspielens wie Fairplay, Gerechtigkeit, Respekt, Lernbereitschaft und die Freude am Spielen wieder erleben wollte. Genau das hatte mir im leistungsorientierten Juniorenfußball gefehlt, wo ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Gegenspieler mit allen unfairen Mitteln für den Sieg gekämpft wird.

Von Torsten Burkhardt

Die Hinrunde ist am Sonntag zu Ende gegangen und der Vorfreude auf den sportlich fairen Wettstreit ist mittlerweile die Ernüchterung gewichen, dass selbst im Frauenfußball in unteren Spielklassen das Gewinnen wichtiger als der faire Umgang miteinander geworden ist. Meine Mädels sind nach elf Spielen mit einer gelben Karte das mit Abstand fairste Team der Liga. Wir grätschen in keine Gegenspielerinnen, machen keine taktischen Foulspiele oder andere Unsportlichkeiten (wie Ballwegschießen, Zeitspiel etc.). Uns geht es um den Spaß am „jogo bonito“, wie es Pelé sagen würde, und der gemeinsamen Freizeitgestaltung.

Nach fast jedem Spiel musste ich mir von meinen Mädels anhören, wie unfair die anderen Teams wieder gespielt haben. Die Schiedsrichter bei Damenspielen belohnen und fördern das unsportliche Verhalten sogar noch damit, dass sie noch inkonsequenter pfeifen, als beim Herren- oder Juniorenfußball. Schockiert hat mich dann aber eine Aussage des Schiedsrichters nach einem Spiel Anfang November. Eine Gegenspielerin hatte mit einem taktischen Foul verhindert, dass meine Stürmerin alleine in den Strafraum eindringen und zum Torschuss kommen konnte. Eindeutig ein verwarnungswürdiges Vergehen. Der Schiedsrichter pfeift und entscheidet auf Freistoß. Um die schnelle Ausführung zu verhindern, hat die Gegenspielerin den Ball dann noch 20 Meter weg ins Seitenaus geschossen, erneut ein verwarnungswürdiges Vergehen. Aus welchem Grund auch immer, blieb gelbe Karte stecken und der Schiedsrichter hielt es nicht mal für notwendig, die Spielerin zu ermahnen. Natürlich hat ihm das gegnerische Team 90 Minuten auf der Nase herum getanzt. Die gegnerische Torfrau wurde alleine fünf Mal für Zeitspiel ermahnt, aber natürlich auch nicht mit einer Verwarnung bestraft. Nach dem Spiel habe ich den Schiedsrichter auf diese Situation angesprochen und gefragt, warum er diese Unsportlichkeiten nicht unterbindet? Ich bekam die wortwörtliche Antwort: „Es muss erlaubt sein, so zu spielen.“ Der Schiedsrichter ist mit dieser Aussage zum Rechtsanwalt des unsportlichen Spiels geworden. Des Weiteren hatte er mir empfohlen, dass ich lieber mit meinen Spielerinnen, als mit ihm sprechen sollte. Ich habe mit meinen Mädels darüber gesprochen und unsere klare Meinung war: „Wir spielen lieber fair und verlieren, als unfair zu gewinnen.“ Man kann uns jetzt für naiv halten, aber der Respekt vor dem Gegner und das faire sportliche Miteinander sollten immer im Vordergrund stehen.

Dennoch sehen wir unsportliche und respektlose Verhaltensweisen an jedem Wochenende auf unseren Sportplätzen im ganzen Land. Die Schiedsrichter haben oft eine lange Leine und scheuen sich davor, Unsportlichkeiten schnell zu bestrafen und versuchen es erstmal mit Kommunikation. Genau wie im Profisport, haben es mittlerweile auch die Amateursportler erkannt, dass man sich in den ersten 60 Minuten fast jedes Foulspiel und jede Unsportlichkeit erlauben kann, ohne dass man dafür bestraft wird. In Wirklichkeit genießt man sogar einen massiven Vorteil, denn jedes Foulspiel und jede Unsportlichkeit verhindern eine aussichtsreiche Gelegenheit des Gegners und stören den Spielfluss. Der pädagogische Ansatz der Schiedsrichter, zunächst zu kommunizieren, bevor man bestraft, gibt dem unfairen Spiel noch mehr Möglichkeiten, sich ohne Konsequenzen einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Die Werte Gerechtigkeit, Respekt und Fairplay werden somit ironischerweise von den Regelhütern selbst mit Füßen getreten. Wie kleine Kinder testen die Spieler zunächst die Grenzen des Schiedsrichters aus. Je früher die erste Konsequenz durch eine gerechtfertigte Verwarnung gezogen wird, umso früher hat das Spiel die Chance auf den Pfad der Tugend zurückzukehren.

Warum ist selbst im Amateurfußball das Gewinnen um jeden Preis wichtiger, als der faire und respektvolle Umgang miteinander? Das Wort Amateur hat eigentlich die Bedeutung Liebhaber und beschreibt jemanden, der eine Tätigkeit aus Liebhaberei, als Hobby betreibt. Hobbys wie den Fußball, betreiben wir mit einem gewissen Eifer in unserer Freizeit aus Freude an der Sache selbst. Wir lieben den Fußball und die Freizeitgestaltung mit unseren Freunden und Gleiches sollte für beide Teams auf dem Platz gelten. Den sportlichen Wettstreit sollten wir als ein Miteinander und nicht als ein rivalisierendes Gegeneinander ansehen. Sieg und Niederlage sollten nicht die bestimmenden Faktoren unseres Handelns werden, sondern lediglich als Belohnung für die Kunst besonderer Fähigkeiten und Anstrengungen angesehen werden.

Um dieses Ziel zu erreichen ist eine „Fairplay-Initiative“ in allen Ebenen des Fußballs notwendig. Das schließt uns Trainer, die Spieler, Zuschauer und Schiedsrichter mit ein. Ein Trainerkollege hatte mir nach einem Spiel meiner Mädels empfohlen, dass sie noch lernen müssten, die schnelle Ausführung von Freistöße zu verhindern, indem sie sich vor den Ball stellen. Das machen alle so und wenn wir es nicht machen würden, dann hätten wir einen riesigen Nachteil. Ich habe dem Trainerkollegen dann mitgeteilt, dass ich genau das nicht möchte und meine Spielerinnen nicht zur Unsportlichkeit erziehen werde, nur um daraus taktische Vorteile zu ziehen. Vielmehr gibt es doch einen breiten Konsens in unserer Gesellschaft, dass der Sport Werte wie Fairplay, Gerechtigkeit und Respekt sowie Kompetenzen wie die Teamfähigkeit vermitteln sollte. Das müssen wir Trainer als Vorbilder vorleben, damit sich unsere Spieler ein positives Beispiel daran nehmen können. Dieser respektvolle Umgang von Trainern, Spielern und Zuschauern untereinander und auch mit dem Schiedsrichter ist Grundvoraussetzung dafür, dass der Sport wirklich diese gesellschaftliche Funktion der Wertevermittlung erfüllen kann. Dem Schiedsrichter kommt hier die wichtigste Rolle zuteil, denn es wird immer wieder Menschen geben, die sich durch moralisch fragwürdiges und unfaires Verhalten Vorteile im Wettkampf erarbeiten wollen. Nur wenn die Schiedsrichter konsequent gegen Unsportlichkeiten vorgehen, werden wir es schaffen, die Werte unserer Gemeinschaft zu schützen. Das ist eine große Verantwortung.
Ein Beispiel aus dem Handball hat gezeigt, dass es möglich ist. Wenn man nach einem Pfiff des Schiedsrichters nicht sofort den Ball liegen lässt, dann wird man als Spieler für diese Unsportlichkeit sofort mit einer 2-Minuten-Strafe des Feldes verwiesen. Genau das stelle ich mir auch für den Fußball vor. Jede Unsportlichkeit (Ballwegschießen, Ball festhalten und weggehen, vor den Ball stellen beim Freistoß, Trikotziehen etc.) sollte wieder, so wie vor 15 Jahren, sofort mit einer gelben Karte bestraft werden. Wir wussten damals genau, dass wir das nicht machen dürfen. Heutzutage gibt es Spieler, die sich solche Vergehen mehrfach während eines Spiels leisten dürfen, ohne auch nur ansatzweise dafür bestraft zu werden. Bevor der Schiedsrichter eine Karte gibt, wird erstmal appelliert, so etwas bitte nicht nochmal zu machen. Der ersten folgt die zweite und die dritte Ermahnung, aber keine Verwarnung. Dieses Verhalten der Schiedsrichter führt zu negativen Emotionen bei dem benachteiligten Team, denn dieses wird nicht nur vom gegnerischen Team, sondern auch vom Schiedsrichter selbst unsportlich behandelt. Eigentlich sollte der Schiedsrichter sie vor Unsportlichkeiten des Gegners schützen, aber sein inkonsequentes Verhalten führt sogar noch dazu, dass unsportliches Verhalten zu einem Wettbewerbsvorteil wird.

Dies ist ein Appell an alle Freunde des Fußballs, unsportliches Verhalten nicht mehr als „clever“ anzusehen, sondern es als moralisch fragwürdig zu hinterfragen. Wir alle wollen Emotionen beim Fußball, aber Unsportlichkeiten führen nur zu negativen Emotionen wie Wut und Hass. Beleidigungen und Gewaltausbrüche von Spielern, Trainern und Zuschauern gegenüber dem gegnerischen Team oder dem Schiedsrichter sind Folgen dieser negativen Emotionen. Was wir wirklich wollen, sind positive Emotionen wie Freude, Glück und Begeisterung. Diesen Spaß am Fußball bekommen wir durch wunderschöne Tore, tolle Kombination, geniale Pässe und die kreativen Ballartisten, die mit ihren Tricks und ihrer Geschwindigkeit jeden Gegner schwindlig spielen können. Jedes taktische Foul nimmt uns Fans eine Torchance und ein mögliches Traumtor. Jede Unsportlichkeit stört den Spielfluss und nimmt uns damit ein schnelles und attraktives Kombinationsspiel. Wenn wir wieder mehr Spaß an unserem Lieblingsspiel haben wollen, dann stehen wir alle in der Verantwortung für Fairplay, Gerechtigkeit und einen respektvollen Umgang miteinander zu kämpfen.

Anmerkung:
Ich habe ungefähr 20 Jahre selber aktiv gespielt und bin mittlerweile seit mehr als 17 Jahren Trainer im Jugend-, Herren- und Frauenfußball. Das moralisch fragwürdige Verhalten vieler Spieler, Trainer und auch Schiedsrichter hat mir mittlerweile komplett den Spaß an meinem Hobby genommen. Eine ehrenamtliche Tätigkeit ist nur sinnstiftend, wenn man auch noch Freude daran hat, und deshalb überlege ich ernsthaft, dem Fußball für immer den Rücken zu kehren. Um mit den negativen Erlebnissen der letzten Monate abzuschließen, wollte ich meine Gedanken zu dem Thema einfach mal aufschreiben. Vielleicht gibt es auch viele andere Menschen, die ähnlich negative Erfahrungen gemacht haben, meine Gedanken teilen und sich nicht mehr ehrenamtlich beim Fußball engagieren wollen. Ich würde mir eine breite gesellschaftliche Debatte über die Umsetzung unserer Werte im Fußball wünschen, um wirklich etwas zum Positiven zu verändern, bevor wir die Guten durch das moralisch fragwürdige Handeln der „Bösen“ für immer verlieren.

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