Solche Spiele können in die Geschichte eingehen als der Wendepunkt der Saison! Da liegt der Tabellenletzte 1. SC Göttingen 05 nach 27 Minuten mit 0:3 gegen U.L.M. Wolfsburg zurück – eben jene Mannschaft, gegen die das Braham-Team bereits im Pokal mit 0:5 auf dem Groner Sportplatz verlor – und ist bereits am Boden zerstört. Doch dann kämpft sich das Team zurück in das Spiel. Mit einer grandiosen, die 350 Zuschauer begeisternden Aufholjagd konnte das Team den nicht mehr für möglich gehaltenen Ausgleich erzielen. Das macht Mut, das weckt Hoffnung, dass das junge Team vielleicht doch noch den Klassenerhalt schaffen wird. Die Spieler wissen jetzt, dass alles möglich ist und werden mit diesem Wissen in keinem Spiel mehr aufgeben.

Trainer Najeh Braham hatte umgestellt. Der wieder spielberechtigte Robert Jinadu Crespo rückte in die Startelf und stürmte neben Lamine Diop. Christoph Schlieper rückte neben Benjamin Winnersbach in die Innenverteidigung, Lukas Pampe für den studienbedingt nicht mehr in Göttingen weilenden Daniel Washausen auf die Sechser-Position. Ebenfalls von Anbeginn dabei war auch Alexander Ludwig, der in Northeim noch krankheitsbeding fehlte, und auf der linken Abwehrseite spielte. Dafür musste Souleiman Souleiman auf die Bank, ebenso Marco Akcay, der durch Paschalis Papadopoulos auf der linken Mittelfeldseite ersetzt wurde. Der Plan ging anfangs, das muss man konstatieren, nicht auf. Zwar hatte der 1. SC Göttingen 05 in den ersten Minuten mehr vom Spiel und auch nach fünf Minuten eine große Chance, doch war das Team diesmal sehr anfällig für Gäste-Konter und in der Defensive sehr fehlerbehaftet. Nach 12 Minuten gelang dem Gäste-Stürmer Petrus Amin das 0:1 nach einem Stellungsfehler in der 05-Abwehr. Auch beim 0:2 durch Steffen Dieck war die Abwehr des Braham-Teams nicht auf der Höhe. Und dann unterlief Kapitän Alexander Burkhardt auch noch ein Foul im Strafraum. Den berechtigten Elfmeter vollendete Andrea Rizzo in der 27. Minute sicher. 05 am Ende. 05 tot. Mitnichten! Nur eine Minute nach dem 0:3 gelang Lamine Diop der Anschlusstreffer. Und dann änderte Braham sein erfolgloses Konzept, brachte Servet Kizilboga für den unglücklichen, weil krank ins Spiel gegangenen Lukas Pampe. Doch bis zur Halbzeit passierte nichts Berichtenswertes.

Im zweiten Abschnitt spielten die Göttinger mit dem Mute der Verzweiflung. Die Wolfsburger hingegen hatten sich offensichtlich vorgenommen, den Vorsprung zu verwalten. Da wurde jede Unterbrechung in typisch italienischen Stil lange inszeniert, Bälle wurden in geringstem Tempo wieder ins Spiel gebracht. Hinzu kam eine rustikal Spielweise, die mit drei gelben Karten in den ersten 15 Minuten bestraft wurde. Dann wurde der verlorene Publikumsliebling Florian Steinhauer erstmals nach seiner Beleidigungs-Pause eingewechselt – zur Verwunderung der Experten aber im Sturm. Das liegt dem jungen Abwehrspieler aber gar nicht. Zwar bemühte sich der Junge aus Kassel redlich, ist aber kein Stürmer – dazu fehlen ihm Schnelligkeit und technisches Vermögen. So vergingen wieder zehn Minuten, bevor Braham sein Versehen bemerkte und den gelernten Stürmer Benjamin Winnersbach in die Offensive beorderte und Steinhauer in die Abwehr. Zudem wechselte er den wieselflinken Marco Akcay ein, der das Offensiv-Spiel der Gastgeber ebenfalls belebte. In den letzten zehn Minuten erlebten die Zuschauer ein Belagerung des Gäste-Tores. Dann schwächte sich der Gast selbst. Der Wolfsburger Steffen Dieck erhielt in der 84. Minute die Gelb-Rote Karte. Nur eine Minute später erzielte Abwehrspieler Christoph Schlieper aus dem Gewühl heraus das 2:3. Das war das Signal für ein Powerplay in den letzten Minuten. Doch was gefiel: Es war kein blindes Hereinschlagen von langen Bällen in den Gäste-Strafraum, die gesamte Mannschaft versuchte, sich spielerisch durchzusetzen. Dann erhielt Lamine Diop in der zweiten Minute der Nachspielzeit den Ball vom eingewechselten Kizilboga und verwandelte unhaltbar zum vielumjubelten und nicht mehr für möglich gehaltenen 3:3! Das rührte Trainer Najeh Braham sogar zu Tränen, wie seine Spieler später berichteten. 05 ist auferstanden aus Ruinien. Gelegentlich intonieren die 05-Fans die von Johannes R. Becher gedichtete Nationalhymne der ehemaligen DDR. Der Text trifft für dieses Spiel den Nagel auf dem Kopf. Das sollte dem jungen sympathischen Team für die kommenden Aufgaben Mut geben und es zu einer ähnlichen Aufholjagd in der Liga animieren.