Der 1. SC Göttingen 05 ist abgestiegen. Eine traurige Tatsache. Doch ein Abstieg ist im Sport alljährlich auch eine Angelegenheit, die in fast allen Ligen weltweit vorkommt. Davon geht die Welt nicht unter, davon wird – zumindest im Amateurbereich – niemand arbeitslos oder sozialhilfeabängig. So traurig ein Abstieg auch sein kann, gerade bei Menschen mit einem großen Herz für den erfolglosen Verein, er kann auch heilen. Die geleistete Arbeit wird hinterfragt, optimiert und – so die richtigen Schlüsse gezogen werden – auch korrigiert. Insofern könnte der Abstieg für den 1. SC Göttingen 05 vielleicht sogar eine Chance sein. Gökick versucht, die Fehler der verkorksten Saison aufzuzeigen.

In einigen Statements äußern sich Anhänger von Göttingen 05 zu den Gründen des zweiten realen Abstiegs in den zurückliegenden vier Jahren. Dabei wird unter anderem behauptet, die Schuldigen für die Misere des 1. SC Göttingen 05, der in den vier Jahren seiner Existenz viermal sportlich nicht die Qualifikation für die jeweilige Liga errang, seien die Entscheidungsträger der Vergangenheit, die inzwischen den Verein verlassen hätten. Die abgelaufene Saison als konsequente Fortsetzung der Misswirtschaft seit Bestehen des Vereins zu sehen, ist eine mögliche Argumentation. Damit würde man aber behaupten, die Mannschaft sei qualitativ von vornherein nicht ligatauglich gewesen, oder die Verantwortlichen hätten nicht erkannt, dass die Bürgschaft der Vergangenheit zu schwer wiege. Nein, es sind auch in der vierten Saison Fehler von gravierender Bedeutung geschehen, die zu analysieren sich lohnen könnte.

1.Der Trainer und das Management
Jan Steiger ist ein sehr beliebter Mann. Mit seiner offenen sympathischen Art ist der Versicherungsvertreter und Sportbetriebswirt (ILS) nicht nur bei den Fans, sondern auch bei vielen Entscheidungsträgern der Fußballszene gern gesehen. Außerdem ist er seit vielen Jahren im Geschäft. Zuerst als Schiedsrichter und Jugendtrainer, später hauptsächlich als Manager. Der Schalke-Fan ist in den sozialen Netzwerken äußerst aktiv und besitzt ein gut gefülltes Telefonbuch. Prädestiniert ihn das schon, ein Landesliga-Team zu coachen? Er hat sich sehr stark bemüht, war fleißig, wie es sich für einen Coach in diesen Gefilden gehört. Dennoch ist er letztendlich gescheitert. Jetzt zu behaupten, man hätte das von vornherein prognostiziert, ist schlechter Stil. Zu knapp war das Scheitern. Doch darf die Frage gestellt werden: Hätte die Qualität des Teams nicht eigentlich ausreichen müssen, hätte es ein richtiger Trainer vielleicht geschafft? Mit „richtiger Trainer“ ist ein Mann zu verstehen, der zumindest einige wichtige Grundvoraussetzungen für den Job erfüllt. Da die Attribute für einen guten Trainer vielfach sind, seien hier nur eine aktive Fußballvergangenheit, eine adäquate Trainerausbildung, sportwissenschaftliche Kompetenz und womöglich ein großer Erfahrungsschatz genannt. Die Verpflichtung von Jan Steiger war eine wichtige, die Saison beeinflussende Fehlentscheidungen der Führungsetage des schwarz-gelben Vereins. Kein Krankenhaus stellt einen Menschen als Arzt ein, nur weil er Pflaster aufkleben kann, kein Sterne-Restaurant wird einen Mann als Koch beschäftigen, nur weil er in der Lage ist, zwei Eier aufzuschlagen. Zudem war die Verpflichtung ein Schlag ins Gesicht seiner Vorgänger – allesamt entweder Diplom-Sportlehrer oder A-Lizenzinhaber. Wenn sie das von Anbeginn schwimmunfähige 05-Schiff nicht auf Kurs bekommen konnten, wie soll es dann ein Mann ohne jegliche Trainer-Erfahrung und -Ausbildung schaffen? Dennoch hat Steiger seine unbestrittenen Qualitäten – als Manager hat er zum Aufschwung des RSV Göttingen 05 und von GW Hagenberg maßgeblich beigetragen. Das ist sein Ding, das kann er gut. Garantiert wird der 05-Vorstand ihn händeringend bitten, auch im kommenden Jahr ihre Arbeit als Manager zu unterstützen, denn ohne ihn sind die Herren hoffnungslos überfordert. Steiger ist als Trainer wenig vorzuwerfen, bis auf eine kleine Portion Hybris, den Job letztendlich auch angenommen zu haben. 

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Die Verantwortlichen für die Fehleinschätzung sitzen in der Chef-Etage des Vereins. Sie haben viel Geld für das Team bezahlt – vielleicht sollten sie einen Praktikumsplatz beim SC Hainberg beantragen – und dann einen Mann ohne Trainer-Erfahrung allein gelassen. Steiger stand frühzeitig ohne Co-Trainer da, ein Nachfolger für den menschlich wohl nicht mit Steiger kompatiblen Thorsten Burkhardt vermisst man bis heute. Einen Torwart-Trainer glaubte der Verein ebenso wenig zu brauchen, wie eine Reserve-Mannschaft. Die vorhandene zweite Mannschaft war lediglich eine begrüßenswerte Integrationsarbeit der Fanszene. Dennoch gab es vom Vorstand zu keiner Zeit auch Führungsunterstützung für Steiger. Was schon Steigers Vorgänger Oliver Hille kritisierte, musste auch Steiger in dieser Saison erfahren: Niemand vom Vorstand stand dem Trainer in kritischen Situationen zur Seite, wies einmal mit einer flammenden Rede auf die kritische Situation hin, stauchte das Team auch mal zusammen. Es gibt bei Göttingen 05 keine ausgeprägte Kritik- und Führungs-Kultur. Was allenthalben zu sehen ist, sind Streicheleinheiten und Schulterklopfer. So kann ein Verein nicht geführt werden, der mehr erreichen will, als eine Wohlfühl-Oase zu sein. Stattdessen konnte man imageträchtige Aktionen, wie eine Kooperation mit einer Schule in China und den Bau eines Transport-Handwagens bewundern – bei sportlichem Erfolg sicherlich wirksam, so eher Kopfschütteln erregend. Zugutegehalten werden muss dem Vorstand, dass auch er oft überfordert war. Nachdem mehrere Funktionäre das sinkende Schiff verließen, blieb Thorsten Richter allein, zudem gesundheitlich angeschlagen. Es war ihm einfach nicht möglich, alle anstehenden Vorstandsaufgaben zu erfüllen. Ein Verein, der sich in der Tradition des ruhmreichen, seit 2003 aus dem Vereinsregister gestrichenen 1. SC Göttingen 05 sieht, hätte mehr Manpower gebrauchen können – eine Lehre für die Zukunft. 05 zieht aufgrund seines Namens – oder Labels, wie das alte, neue Vorstandsmitglied Michael Wucherpfennig es zu Beginn des neuen 1. SC Göttingen 05 bezeichnetet – Leute an, wie Motten das Licht. Leider ist den meisten von ihnen nicht der Verein selbst, sondern die Öffentlichkeit, die der Klub hervorruft, wichtig. Die große Fluktuation an Funktionären in den vergangenen vier Jahren ist dafür Beweis genug, sie kamen mit Getöse und gingen meist klammheimlich. Diejenigen, die mit großem Fleiß und Engagement bei der Stange geblieben sind, sind die ärmsten Schweine, weil sie den Hohn und Spott, der jetzt über 05 ausgeschüttet wird, abbekommen und ertragen müssen.

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2.Das Team: Die Kadergröße
Als das Team bei der Mannschafts-Präsentation im Sommer vorgestellt wurde, waren sich die Experten einig: Diese Mannschaft hat das Zeug für die Landesliga. Summiert man die Fähigkeiten der einzelnen Spieler, ist das auch zutreffend. Betrachtet man nun, wie knapp Göttingen 05 gescheitert ist, wird diese Einschätzung erneut bestätigt. Aber: Stimmt auch die Mischung? Sind alle für einen Erfolg nötigen Ressourcen vorhanden? Der größte Fehler – hier kann sich Jan Steiger nicht von einer Mitschuld befreien – ist die Größe des Kaders. 34 Spieler kamen in dieser Saison zum Einsatz. Für eine Landesliga-Mannschaft, die dazu noch regelmäßig nur auf einem halben Platz trainiert, ist das leistungshemmend. Erstens können nur maximal 14 Spieler spielen. Somit ist Unzufriedenheit im Kader programmiert – mehr als die Hälfte der Spieler ist nicht nominiert oder reist umsonst zu den Spielen. Zweitens ist ein, das Team weiterentwickelndes Training mit nur einem Übungsleiter so nicht möglich. Allein schon die Übungsfrequenz wird dadurch reduziert, außerdem leidet gruppendynamisches Training mit solch vielen Spielern. Ferner dürfte eine individuelle Trainings-Arbeit unmöglich sein. Drittens sind in solch einem großer Kader zwangsläufig Unterschiede im Leistungs-Niveau der einzelnen Aktiven vorhanden. Für die Qualität einer Trainingseinheit ist aber immer der schwächste Spieler verantwortlich – wie die Kraft einer Kette vom schwächsten Glied abhängt. Bei solch einem großen Kader werden somit die guten Spieler nicht gefordert und die allgemeine Trainingsqualität wird nach unten gezogen. Erfahrene Trainer wissen das. Viertens bietet solch ein großer Kader automatisch Alibis für eine amateurhafte Lebensplanung. Oft waren wichtige Spieler nicht anwesend – die Ausrede „es sind ja genug Spieler da“ ist eine logische Folge. Fünftens kann der Trainer aufgrund der Größe des Kaders in Erklärungsnöte geraten. In der Regel sind die schwächsten Spieler die fleißigsten. Sie nicht spielen zu lassen, sorgt für Unzufriedenheit und permanente Diskrepanz zwischen Trainings-Anreiz („wenn ich nicht zum Training komme, spiele nicht“) und Leistungsgedanken („auch wenn ich zum Training komme, spiele ich nicht“). Einen Spieler gleichzeitig zu motivieren und ihm dann doch seine Nichtnominierung zu erklären, setzt geschickte Kommunikation voraus, die bei einem kleineren Kader nicht nötig gewesen wäre. Also: Weniger ist manchmal mehr! 20 Spieler, die gemeinsam hart arbeiten, reichen – der Rattenschwanz muss einfach weg oder in eine U23 integriert werden.

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3.Das Team: Die Qualität
Folgende Stammspieler (mindestens 16 von 32 Spielen) prägten die Abstiegssaison: Nils Holzgrefe (24 Einsätze) – Jeff Pierre (17), Julian Washausen (21), Tanis Metscher (32), Marc-Jannis Käding (21) – Jannik Psotta (23), Jannis Hesse (20), Mladen Drazic (27), Patric Förtsch (29) – Grzegorz Podolczak (26), Mazlum Dogan (26). Jeder Fußball-Freund kann sich selbst ein Urteil über die Qualität bilden. Fest steht: Konstant gute Leistungen brachte das Team nicht zustande. Starke Spiele wechselten sich mit katastrophalen Auftritten ab. Das könnte ein Hinweis auf schlecht ausgeprägte Hierarchien sein.
Womöglich war die Mannschaft aber auch zu sehr von Stürmer Grzegorz Podolczak abhängig. Er erzielte elf Tore; traf er, gab es oft auch Punkte, war er nicht erfolgreich, war für 05 meist nichts zu holen. Mit nur 47 Toren stellt 05 die drittschwächste Offensive der Liga – nur Landolfshausen (45) und Absteiger Calberlah (41) waren schwächer. Die Abwehr hingegen ist mit nur 47 Gegentreffer die drittbeste der gesamten Liga. Nur Meister Vorsfelde (30) und der Dritte Wolfenbüttel (29) mussten weniger Tore schlucken. Diese Statistik lässt darauf schließen, dass sich die Zusammenstellung des Kaders oder die Taktik von Jan Steiger zu sehr auf die Arbeit der Defensive ausrichtete. Mit einem ausgeglichenen Torverhältnis abzusteigen, ist traurig. Fünf der Teams, die in der Klasse verbleiben, haben gar eine negative Tordifferenz. In der Bezirksliga sollte das Augenmerk wieder stärker auf die Offensive gelegt werden.

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4.Das Team: Die Jugend
Dem 1. SC Göttingen 05 wird allgemein eine gute Jugendarbeit attestiert. Die A- und B-Jugend-Teams sind als Niedersachsenligisten die höchst spielenden Nachwuchs-Mannschaften Südniedersachsens. Dennoch gelang es dem Verein in den vier Jahren seines Bestehens nicht, auf Grundlage der guten Jugend-Arbeit eine schlagkräftige Herren-Mannschaft zu formen. Hinter vorgehaltener Hand wird kolportiert, dass die fehlende Integration der eigenen Jugend in den Senioren-Bereich ein Grund dafür sei, dass A-Jugend-Coach Jan-Philipp Brömsen den Verein jetzt verlässt. Im aktuellen Kader wurde von den Stammspielern (siehe Punkt 3 „Die Qualität“) nur Julian Washausen auch beim eigenen Verein ausgebildet. Marc-Jannis Käding, Jannis Hesse und Jannik Psotta spielten einst für den JFV Göttingen, der 2013 vom 1. SC Göttingen 05 einverleibt wurde, Mazlum Dogan spielte schon für die Jugend beim RSV Göttingen 05 und ist dem Team bis heute treu geblieben. Christoph Schlieper, Alexander Ludwig, Luca Andrecht, Lukas Pampe und Maximilian König kamen in dieser Saison aus verschiedenen Gründen nicht über eine Reservistenrolle hinaus. Ist ein A-Jugend-Niedersachsenliga-Spieler für die Landesliga zu schlecht? Offensichtlich gelingt es nur wenigen Spielern, im Senioren-Bereich höherklassig Fuß zu fassen. Schaut man einmal in das Team der ersten 05-Saison 2013/14 zurück, spielen die damaligen A-Jugendlichen von Göttingen 05 heute:
Johannes Kotzsch – Adler Weidenhausen – Verbandsliga Hessen
Lucas Beckmann – Nikolausberger SC – 1. Kreisklasse
Giulian Thunert – SC Heiligenstadt – Thüringenliga
Alexander Ludwig – 1. SC Göttingen 05 – Landesliga (7 Spiele)
Ricardo Moreno Morales – Kickers Markleeberg – Landesliga Sachsen
Finn Daube – Sparta Göttingen – Bezirksliga
Lamine Diop – SVG Göttingen – Oberliga
Angelo Siebert – SSV Nörten-Hardenberg – Bezirksliga
Janek Brandt – SVG Göttingen – Oberliga
Alexander Mut – FC Grone – Landesliga
Miguel Bodenbach-Martin – Sparta Göttingen – Bezirksliga
Ismail Boran – Dostluk Spor Osterode – Bezirksliga
Julian Washausen – 1. SC Göttingen 05 – Landesliga (21 Spiele)
Erman Sas – SG Pferdeberg – 1. Kreisklasse
Wie sichtbar wird, spielen die meisten der ehemaligen A-Jugendlichen in der Bezirksliga. Nur wenigen Spielern gelingt der Sprung höher. Entsprechend begehrt sind diese Ausnahmen dann auch und werden von anderen Vereinen gejagt. Die Integration ist also nicht so einfach, wie gern behauptet wird. Zumal ein A-Jugendlicher aus der Niedersachsenliga höchstwahrscheinlich selbst höherklassige Ansprüche besitzt, die er aber oft gar nicht zu erfüllen in der Lage ist. Deshalb ist für viele Jungs das erste Herren-Jahr meist enttäuschend. Der Gang in die Bezirksliga ist vielleicht die Chance, jetzt verstärkt auf die Jugend zu setzen. Womöglich gelingt es 05 so, sparsam und wie jeder andere Verein – siehe Hainberg – auch, einen Schritt nach dem anderen zu gehen und nicht gleich in die Oberliga hüpfen zu wollen, wie 2013. Was folgte, waren vier sportliche Abstiege in Folge mit nur 31 Siegen in 120 Spielen. 
Interessante  Links:

Der Kader des 1. SC Göttingen 05
Der Spielplan des 1. SC Göttingen 05
Alles zur Landesliga

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